Brigitte Reimann Halbportrait
Brigitte Reimann
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Die Frau am Pranger
Die Frau am Pranger. Verlag Neues Leben. 1956.
"Die Publikation im Sonntag scheint endgültig gescheitert. Auch wieder diese verfluchte Feigheit der Redakteure! [...] Wilhelm Pieck hat eine Amnestie für die Kriegsverbrecher erbeten - da darf man halt nichts gegen diese Verbrecher bringen [...] Nur immer brav auf der vorgeschriebenen Linie tippeln, nur ja keinen selbständigen Schritt tun – die kostbare Existenz könnte gefährdet werden! Vor ein paar Tagen habe ich die Fahnen der Frau am Pranger korrigiert. Die Geschichte ist mir wieder so zu Herzen gegangen, dass ich bei dem unglückseligen Ende der Liebenden hätte weinen mögen. Wenn es meine Leser genauso ergriffe! [...] ich erinnere mich noch, wie bitterlich ich damals geweint habe, nachdem ich die Szene in der Scheune geschrieben hatte. Wie hat mich das gequält, wie gern hätte ich die Liebenden am Leben gelassen!"
(30.10.1955, Reimann,Brigitte: Ich bedaure nichts. Tagebücher. 1955-1963)
 
Brigitte Reimanns Erzählung Frau am Pranger gehörte zu den meistbesprochenen Neuerscheinungen der damaligen Zeit (vgl. NDL (1957) Heft 1, Seite 143-147, hier Seite 143). Bereits mit ihrem Debüt bekam sie jedoch die negativen Seiten der Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik zu spüren: Das Projekt, Frau am Pranger als Fortsetzungstext in der Zeitschrift Sonntag erscheinen zu lassen, scheiterte, weil ihre Erzählung mit der Tagespolitik der DDR 1955 in Konflikt geriet. Am 31. August 1955 ersuchte der Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, bei der Sowjetunion um vorzeitige Entlassung aller deutschen Kriegsverurteilten. Vor diesem politischen Hintergrund war der Hinweis auf die deutsche Schuld nicht gerade willkommen. Parallel zum Scheitern des Projektes beim Sonntag gab es aber auch Anerkennung: Anlässlich eines auf Initiative des Ministeriums für Kultur durchgeführten Preisausschreibens kam Brigittes Reimanns Frau am Pranger in die engere Wahl.
 
Im Mittelpunkt dieser Erzählung, die in den letzten anderthalb Jahren des Dritten Reiches spielt, steht die mädchenhafte und empfindsame Kathrin Marten, die, mit dem grobschlächtigen Bauern Heinrich Marten unglücklich verheiratet, auf einem Hof in einem Dorf irgendwo in Deutschland lebt, welchen sie zusammen mit ihrer Schwester Frieda Marten führt. Da Heinrich während des Krieges nur zum Heimatbesuch nach Hause kann, wird den Frauen der russische Kriegsgefangene Alexej als Hilfe zugeteilt. Geschildert wird der Konflikt zwischen der nationalsozialistischen Gräuelpropaganda, für die Frieda empfänglich ist ("Das sind doch unsere Feinde. ... Die haben auf deinen Mann geschossen") und den Ansichten Kathrins, die auch in dem Kriegsgefangenen den Menschen erkennt. Eindrucksvoll ist die Szene, in der sich Kathrin gegenüber Frieda dafür einsetzt, dass Alexej seiner Arbeit entsprechend auch ausreichend zu Essen zugeteilt bekommt:
 

"Frieda häufte Kartoffeln auf einen Teller und goss sparsam Speckstippe darüber. Kathrin sagte, ohne aufzublicken: 'er hat tüchtig geschafft heute.' 'No, No', brummt Frieda; sie wollte den Teller hinausbringen. Noch immer mit gesenktem Kopf beharrt Kathrin: 'Er ist doch sehr fleißig. Der Mensch muss doch auch anständig essen, wenn er arbeiten soll.' 'No, No', brummte Frieda, etwas lauter, blieb aber in der Tür stehen. Kathrin, mit ungewohnter Zähigkeit, sagte: 'Ein Schmalzbrot macht uns auch nicht ärmer. Wir können’s uns doch leisten.' (15f.)


Zwischen Alexej und Kathrin entwickelt sich eine Freundschaft und später auch eine innige Liebesbeziehung. Mehr und mehr gelingt es der jungen Frau, sich dem Kriegsgefangenen gegenüber zu öffnen, sich "endlich aus der gewalttätigen Umarmung" ihres Mannes zu lösen und zu sich selbst zu finden: "Sie blickte aufmerksam in den Spiegel: Sie begann sich zu entdecken."

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