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Mit Respekt und Vergnügen. Briefwechsel |
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Mit Respekt und Vergnügen.
Briefwechsel. Verlag Neues Leben. 1994. | |
"Ich beschäftige mich jetzt
intensiv mit Architektur (das Arbeitsgebiet meiner neuen Heldin), und
auf einmal hat mich 'die Mutter der Künste' in ihren Bann gezogen, mehr
noch als die Malerei, vielleicht, weil sie so unlösbar verknüpft ist
mit Menschen, so direkt ihnen dient. Satellitenstädte von der Art
Hoyerswerdas bringen interessante psychologische Probleme mit sich."
Im Jahr 1963 beginnt Brigitte Reimann mit der Arbeit an ihrem Roman Franziska
Linkerhand, in dessen Mittelpunkt eine junge
Architektin stehen soll. Ihr Interesse, dass vor allem den Auswirkungen
des Stadtaufbaus auf das Individuum galt, beschränkte sich jedoch nicht
nur auf die rein literarische Umsetzung des Themas. So unterschrieb sie
am 1. Juni 1968 zusammen mit 32 anderen Mitgliedern des Kulturbundes
Hoyerswerda eine Beschwerde an den Staatsrat, welche den Ausbau des Zentrums von
Hoyerswerda-Neustadt betraf. Mit Hermann
HenselmannHenselmann, Hermann (1905-1995): Architekt,
1954-59 Chefarchitekt von Berlin, nach 1956 Anteil an der Umgestaltung
des Berliner Stadtzentrums , einem der
renommiertesten Architekten der DDR, sprach und schrieb sie sowohl über
generelle Aspekte der Architektur, als auch über ihr Lebensgefühl in
Hoyerswerda - beides sollte sich in Franziska Linkerhand
niederschlagen.
11.06.63, Hoy[erswerda]
"Lieber Herr Professor Henselmann, (...) Mir bereitet es
physisches Unbehagen, wenn ich durch die Stadt gehe – mit ihrer tristen
Magistrale, mit Trockenplätzen zwischen den Häusern, wo Unterhosen und
Windeln flattern, mit einer pedantischen und zudem unpraktischen
Straßenführung, die die Erfindung des Autos ignoriert [...]
Wahrscheinlich läßt sich in den fertigen Wohnkomplexen nichts mehr
korrigieren, aber es müßte doch möglich sein, die Pläne für die
nächsten Komplexe in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Entschuldigen
Sie, bitte, daß ich Ihnen soviel von Hoy vorklage; das Thema liegt mir
auch deshalb am Herzen, weil mein nächster Held Architekt sein wird,
und nun versuche ich von allen Leuten, deren ich habhaft werden kann,
zu erfahren, wie weit die Architektur das Lebensgefühl ihrer Bewohner
zu prägen vermag, und mir scheint, sie trägt in gleichem Maße zur
Seelenbildung bei wie Literatur und Malerei, Musik, Philosophie und
Automation." |
21.06.63,
Berlin "Liebe Frau Reimann, (...) Kann man nicht
unsere sozialistische Heimat so gestalten, daß man nach ihren Städten
Heimweh empfinden kann? Fragen über Fragen. Es wäre schön, wenn wir
einander helfen könnten, eine Antwort zu finden. Ihr
Henselmann" |
| | Aber
wir schaffen es, verlaß dich drauf! Briefe an eine Freundin im Westen |
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"Eine Lebensgeschichte, die sich vor drei Jahren noch gut und erfreulich angehört hätte; heute ist es eine Geschichte, über der stehen müßte: 'Es war einmal -'" - mit diesen Worten beginnt der Brief, der den 1995 unter dem Titel Aber wir schaffen es, verlass Dich drauf erschienenen Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Veralore SchwirtzSchwirtz, Veralore: Schulfreundin, bis 1953 im regen Briefwechsel mit Brigitte Reimann.
1973, kurz vor dem Tod B.R., schrieb die Freundin an B.R. erneut einen Brief und bekam Antwort: Der in diesem Briefwechsel abgedruckte Brief beginnt mit den Worten: "Es war einmal..." beschließen sollte. Da Reimann ihre frühen Tagebücher allesamt verbrannte, stellen ihre Briefe an die Freundin im Westen die einzig verbliebenen autobiographischen Zeugnissen vor dem Einsetzen der Tagebücher von 1955 dar. Als der 1952 abgebrochene Kontakt 1972 wiederbelebt wurde, konnte die inzwischen schwerkranke Brigitte Reimann, wie bereits oben angedeutet, nur noch auf ihr kurzes Leben zurückblicken: "Es war einmal eine Schriftstellerin, die zu früh und zu viel Erfolg hatte, manchmal hungerte und manchmal wahnsinnig viel Geld verdiente, einen Haufen Orden bekam und so ziemlich alle Literaturpreise, die hierzulande verliehen werden, an eine Große Sache glaubte und an einer Großen Sache zweifelte, sich nach fremden Ländern sehnte und nur die Nachbarschaft zu sehen bekam, Polen, Prag, Moskau [...] als Hilfsschlosser in der Brigade im Braunkohlenkombinat arbeitete – kurzum: es war einmal, und es war gut so, und auch das Schlimme und Dreckige war in seiner Art gut."
12.05.51 "[...] so
das ich nur selten nach Hause kommen kann. [...] Aber es steigt mir
immer heiß in die Augen, wenn ich an unseren Abschied denke, denn mit
ihm wird sich meine wirklich sorglose Jugend im Schutz des
Elternhauses, wird sich meine erste Liebe und Sünde verabschieden." (S.
112) |
15.09.51
"Ich bestürmte Vati, mich noch ein Jahr lang zu Hause zu lassen." (S.
130) | 01.02.52
"Erst wollte ich doch nach Berlin, aber jetzt packt mich manchmal ein
Entsetzen vor diesem gefährlichen Pflaster, dass ich am liebsten in
meinem lieben, alten sturen Burg bleiben möchte - es ist hier auch nur
ein Dahinvegetieren." (S. 145) |
| | Jede Sorte von Glück. Briefe an die Eltern |
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Jede Sorte von Glück. Briefe an die
Eltern.
Aufbau Berlin. 2008. |
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Briefbände und Memoiren finden
ihr Publikum ohne viel Reklame. Auch Brigitte Reimanns Briefe an die
Eltern, im Aufbau-Verlag zur Leipziger Frühjahrsmesse erschienen, sind schon seit vielen Wochen
auf der Hitliste des Verlages. Wer die
Franziska Linkerhand-Autorin kennt, braucht nicht
unbedingt den animierenden Titel Jede Sorte von Glück, um sich auch
diesen neuen Band von ihr zuzulegen. Bereits aus den bisher
veröffentlichten Tagebüchern und Briefwechseln geht hervor (mit Christa Wolf,
Hermann Henselmann, Irmgard Weinhofen und Veralore Schwirtz), dass
Brigitte Reimann eine passionierte Briefschreiberin war.
Die hier vorliegende Sammlung ist eine Auswahl aus den 426 Briefen,
Postkarten und Telegrammen, welche die Autorin ihren Eltern nach Burg
bei Magdeburg schrieb, nachdem sie im Januar 1960 mit Siegfried
Pitschmann nach Hoyerswerda „in die Schwarze Pumpe“ – in das
Braunkohlerevier – gezogen war. Zu Anfang wöchentlich berichtete
Reimann über ihren neuen Arbeits- und Lebensort. Sie fütterte damit
auch die Familienrundbriefe des Vaters, die dieser aus den Briefen
seiner vier Kinder zusammenstellte, um die Familie zusammenzuhalten.
Neben vielen neuen Details über die diversen Schreibprojekte,
über die Querelen mit der ‚großen’ Kulturpolitik in der
‚kleinen’ DDR und über Partnerkonflikte erfährt man hier, dass es für
Brigitte Reimann zwei Konstanten in ihrem ansonsten sehr unruhigen
Leben gegeben hat: die Liebe zu den Eltern und ihr Schreiben. So
öffnet sie sich gegenüber den Eltern selbst in so existentiellen Angelegenheiten wie der eigenen Krebskrankheit und dem
Sterben ohne Scheu. Wie genau Reimann hier die Balance im Schreiben gewinnt, ihren
Eltern nichts vorzuheulen, aber auch nicht schroff abweisend zu sein,
als die Krebskrankheit Gewissheit ist, wie sie die Eltern bittet, das
Mitleid im Zaum zu halten und stattdessen an die Reimannsche
Tugend appelliert, sich nicht umblasen zu lassen, sondern
daran zu glauben, dass sie ein ‚Stehaufmännchen“ ist, das ist berührend
und beweist die tiefe Verbundenheit mit den Familienmitgliedern.
Mit diesem Briefband an die Eltern hat die Lektorin Dr. Angela Drescher
dem Aufbau-Verlag, nach den Tagebüchern Ich bedaure nichts.1955-1963
(1997) und Alles schmeckt nach Abschied. 1964-1970 (1998) sowie der Neuausgabe des Romans Franziska Linkerhand
(1998) einen neuen Bestseller beschert. Mitherausgeberin ist Heide
Hampel, die den Nachlass von Brigitte Reimann jahrelang betreut hat und
die mit Margrid Bircken eine Bildbiographie über Brigitte Reimann im
Aufbau Verlag herausgegeben hat.
Man kann nur dringlich wünschen, dass der neue Briefband in den
gegenwärtigen Stürmen um den Erhalt des Aufbau-Verlages nicht
untergeht.
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