Brigitte Reimann Halbportrait
Brigitte Reimann
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Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen 1964-73
Christa Wolf (Foto: Helga Paris, Berlin)
Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen 1964-73. Aufbau-Verlag. 1995.
Wie die Schrifstellerin Christa WolfWolf, Christa (geb. 1929): Schriftstellerin (u.a. Kein Ort. Nirgends, Nachdenken über Christa T.) in dem Film Ankunft und Abschied. Die Neubrandenburger Jahre der Brigitte Reimann (siehe Ausschnitt) berichtet, lernte sie Brigitte Reimann auf einer vom Deutschen SchriftstellerverbandDeutscher Schriftstellerverband (DSV): Der DSV wurde auf dem II. Deutschen Schriftstellerkongress, vom 4.-6. Juli 1950, im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet. Anna Seghers wird zur Präsidentin, Bodo Uhse zum 1. Vorsitzenden gewählt.  veranstalteten Reise nach Moskau im Jahre 1963 kennen. Der sich anschließende lose Briefkontakt entwickelte sich vor allem nach dem Bekanntwerden von Brigitte Reimanns Krebserkrankung 1968 zu einer engen Freundschaft, in der sich die beiden Schriftstellerinnen über Arbeit und Literatur, Liebschaften und körperliche Leiden austauschten. Auszüge aus dem Briefwechsel der Jahre 1964-1973 erschienen 1995 im Band Sei gegrüßt und lebe.
Mit Respekt und Vergnügen. Briefwechsel
Hermann Henselmann (Foto: Irene Henselmann, Berlin)
Mit Respekt und Vergnügen. Briefwechsel. Verlag Neues Leben. 1994.
"Ich beschäftige mich jetzt intensiv mit Architektur (das Arbeitsgebiet meiner neuen Heldin), und auf einmal hat mich 'die Mutter der Künste' in ihren Bann gezogen, mehr noch als die Malerei, vielleicht, weil sie so unlösbar verknüpft ist mit Menschen, so direkt ihnen dient. Satellitenstädte von der Art Hoyerswerdas bringen interessante psychologische Probleme mit sich."
Im Jahr 1963 beginnt Brigitte Reimann mit der Arbeit an ihrem Roman Franziska Linkerhand, in dessen Mittelpunkt eine junge Architektin stehen soll. Ihr Interesse, dass vor allem den Auswirkungen des Stadtaufbaus auf das Individuum galt, beschränkte sich jedoch nicht nur auf die rein literarische Umsetzung des Themas. So unterschrieb sie am 1. Juni 1968 zusammen mit 32 anderen Mitgliedern des Kulturbundes Hoyerswerda eine Beschwerde an den Staatsrat, welche den Ausbau des Zentrums von Hoyerswerda-Neustadt betraf. Mit Hermann HenselmannHenselmann, Hermann (1905-1995): Architekt, 1954-59 Chefarchitekt von Berlin, nach 1956 Anteil an der Umgestaltung des Berliner Stadtzentrums , einem der renommiertesten Architekten der DDR, sprach und schrieb sie sowohl über generelle Aspekte der Architektur, als auch über ihr Lebensgefühl in Hoyerswerda - beides sollte sich in Franziska Linkerhand niederschlagen.

 

11.06.63, Hoy[erswerda]
"Lieber Herr Professor Henselmann,
(...) Mir bereitet es physisches Unbehagen, wenn ich durch die Stadt gehe – mit ihrer tristen Magistrale, mit Trockenplätzen zwischen den Häusern, wo Unterhosen und Windeln flattern, mit einer pedantischen und zudem unpraktischen Straßenführung, die die Erfindung des Autos ignoriert [...] Wahrscheinlich läßt sich in den fertigen Wohnkomplexen nichts mehr korrigieren, aber es müßte doch möglich sein, die Pläne für die nächsten Komplexe in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Entschuldigen Sie, bitte, daß ich Ihnen soviel von Hoy vorklage; das Thema liegt mir auch deshalb am Herzen, weil mein nächster Held Architekt sein wird, und nun versuche ich von allen Leuten, deren ich habhaft werden kann, zu erfahren, wie weit die Architektur das Lebensgefühl ihrer Bewohner zu prägen vermag, und mir scheint, sie trägt in gleichem Maße zur Seelenbildung bei wie Literatur und Malerei, Musik, Philosophie und Automation."

21.06.63, Berlin
"Liebe Frau Reimann,
(...) Kann man nicht unsere sozialistische Heimat so gestalten, daß man nach ihren Städten Heimweh empfinden kann? Fragen über Fragen. Es wäre schön, wenn wir einander helfen könnten, eine Antwort zu finden.
Ihr Henselmann"

Aber wir schaffen es, verlaß dich drauf! Briefe an eine Freundin im Westen
Aber wir schaffen es, verlaß dich drauf! Briefe an eine Freundin im Westen. Elefanten Press. 1995.
"Eine Lebensgeschichte, die sich vor drei Jahren noch gut und erfreulich angehört hätte; heute ist es eine Geschichte, über der stehen müßte: 'Es war einmal -'" - mit diesen Worten beginnt der Brief, der den 1995 unter dem Titel Aber wir schaffen es, verlass Dich drauf erschienenen Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Veralore SchwirtzSchwirtz, Veralore: Schulfreundin, bis 1953 im regen Briefwechsel mit Brigitte Reimann. 1973, kurz vor dem Tod B.R., schrieb die Freundin an B.R. erneut einen Brief und bekam Antwort: Der in diesem Briefwechsel abgedruckte Brief beginnt mit den Worten: "Es war einmal..." beschließen sollte. Da Reimann ihre frühen Tagebücher allesamt verbrannte, stellen ihre Briefe an die Freundin im Westen die einzig verbliebenen autobiographischen Zeugnissen vor dem Einsetzen der Tagebücher von 1955 dar. Als der 1952 abgebrochene Kontakt 1972 wiederbelebt wurde, konnte die inzwischen schwerkranke Brigitte Reimann, wie bereits oben angedeutet, nur noch auf ihr kurzes Leben zurückblicken: "Es war einmal eine Schriftstellerin, die zu früh und zu viel Erfolg hatte, manchmal hungerte und manchmal wahnsinnig viel Geld verdiente, einen Haufen Orden bekam und so ziemlich alle Literaturpreise, die hierzulande verliehen werden, an eine Große Sache glaubte und an einer Großen Sache zweifelte, sich nach fremden Ländern sehnte und nur die Nachbarschaft zu sehen bekam, Polen, Prag, Moskau [...] als Hilfsschlosser in der Brigade im Braunkohlenkombinat arbeitete – kurzum: es war einmal, und es war gut so, und auch das Schlimme und Dreckige war in seiner Art gut."

12.05.51
"[...] so das ich nur selten nach Hause kommen kann. [...] Aber es steigt mir immer heiß in die Augen, wenn ich an unseren Abschied denke, denn mit ihm wird sich meine wirklich sorglose Jugend im Schutz des Elternhauses, wird sich meine erste Liebe und Sünde verabschieden." (S. 112)

15.09.51
"Ich bestürmte Vati, mich noch ein Jahr lang zu Hause zu lassen." (S. 130)

01.02.52
"Erst wollte ich doch nach Berlin, aber jetzt packt mich manchmal ein Entsetzen vor diesem gefährlichen Pflaster, dass ich am liebsten in meinem lieben, alten sturen Burg bleiben möchte - es ist hier auch nur ein Dahinvegetieren." (S. 145)

Jede Sorte von Glück. Briefe an die Eltern
Jede Sorte von Glück. Briefe an die Eltern. Aufbau Berlin. 2008.
Briefbände und Memoiren finden ihr Publikum ohne viel Reklame. Auch Brigitte Reimanns Briefe an die Eltern, im Aufbau-Verlag zur Leipziger Frühjahrsmesse erschienen, sind schon seit vielen Wochen auf der Hitliste des Verlages. Wer die Franziska Linkerhand-Autorin kennt, braucht nicht unbedingt den animierenden Titel Jede Sorte von Glück, um sich auch diesen neuen Band von ihr zuzulegen. Bereits aus den bisher veröffentlichten Tagebüchern und Briefwechseln geht hervor (mit Christa Wolf, Hermann Henselmann, Irmgard Weinhofen und Veralore Schwirtz), dass Brigitte Reimann eine passionierte Briefschreiberin war.
Die hier vorliegende Sammlung ist eine Auswahl aus den 426 Briefen, Postkarten und Telegrammen, welche die Autorin ihren Eltern nach Burg bei Magdeburg schrieb, nachdem sie im Januar 1960 mit Siegfried Pitschmann nach Hoyerswerda „in die Schwarze Pumpe“ – in das Braunkohlerevier – gezogen war. Zu Anfang wöchentlich berichtete Reimann über ihren neuen Arbeits- und Lebensort. Sie fütterte damit auch die Familienrundbriefe des Vaters, die dieser aus den Briefen seiner vier Kinder zusammenstellte, um die Familie zusammenzuhalten.
Neben vielen neuen Details über die diversen Schreibprojekte, über die Querelen mit der ‚großen’ Kulturpolitik in der ‚kleinen’ DDR und über Partnerkonflikte erfährt man hier, dass es für Brigitte Reimann zwei Konstanten in ihrem ansonsten sehr unruhigen Leben gegeben hat: die Liebe zu den Eltern und ihr Schreiben. So öffnet sie sich gegenüber den Eltern selbst in so existentiellen Angelegenheiten wie der eigenen Krebskrankheit und dem Sterben ohne Scheu. Wie genau Reimann hier die Balance im Schreiben gewinnt, ihren Eltern nichts vorzuheulen, aber auch nicht schroff abweisend zu sein, als die Krebskrankheit Gewissheit ist, wie sie die Eltern bittet, das Mitleid im Zaum zu halten und stattdessen an die Reimannsche Tugend appelliert, sich nicht umblasen zu lassen, sondern daran zu glauben, dass sie ein ‚Stehaufmännchen“ ist, das ist berührend und beweist die tiefe Verbundenheit mit den Familienmitgliedern.
Mit diesem Briefband an die Eltern hat die Lektorin Dr. Angela Drescher dem Aufbau-Verlag, nach den Tagebüchern Ich bedaure nichts.1955-1963 (1997) und Alles schmeckt nach Abschied. 1964-1970 (1998) sowie der Neuausgabe des Romans Franziska Linkerhand (1998) einen neuen Bestseller beschert. Mitherausgeberin ist Heide Hampel, die den Nachlass von Brigitte Reimann jahrelang betreut hat und die mit Margrid Bircken eine Bildbiographie über Brigitte Reimann im Aufbau Verlag herausgegeben hat. Man kann nur dringlich wünschen, dass der neue Briefband in den gegenwärtigen Stürmen um den Erhalt des Aufbau-Verlages nicht untergeht.

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